Wie Desirable Difficulties im E-Learning wirken

Wie wir „Binge Learning” verhindern und Nachhaltigkeit im Lernen fördern.

Was sind Desirable Difficulties – und warum sind sie besonders fürs E-Learning relevant?

Desirable Difficulties im E-Learning – wörtlich übersetzt „erwünschte Schwierigkeiten“ – beschreiben Lernbedingungen, die das Lernen kurzfristig erschweren, aber langfristig erheblich verbessern. Klingt kontraintuitiv? Ist es auch. Während sich Methoden wie Re-Reading (also das wiederholte Lesen desselben Stoffes) oder Cramming (was man am besten mit „Büffeln“ übersetzen würde) einfach und vertraut anfühlen, sprechen allerdings über 30 Jahre empirische Forschung gegen diese Konzepte. Studien belegen: Lernschwierigkeiten, clever eingesetzt, verbessern Behaltensleistung, steigern Transfer und fördern metakognitive Selbsteinschätzung1. Für digitale und hybride Lernumgebungen ist das besonders relevant. Denn adaptive Lernplattformen eröffnen zum ersten Mal systematische Möglichkeiten, diese Erkenntnisse großflächig umzusetzen – mit enormer Wirkung auf die Lernwirksamkeit.

Wie »Lernschwierigkeiten wirken« : Die Theorie hinter Desirable Difficulties im E-Learning

Die New Theory of Disuse von Bjork & Bjork unterscheidet zwei entscheidende Dimensionen des Gedächtnisses: Retrieval Strength (wie leicht abrufbar) und Storage Strength (wie tief verankert). Der Knackpunkt: Leicht lernbare Information (hohe Retrieval Strength) wird oft überschätzt – sie fühlt sich vertraut an, ist aber nicht dauerhaft verankert2. Genau hier setzt das Konzept desirable difficulties an: Lernaufgaben sollten den Lernenden fordern, die Abrufbarkeit erschweren, um tiefere Kodierung zu erzielen. Gleichzeitig darf das Maß an Schwierigkeit nicht demotivieren – das sogenannte Challenge Point Framework lokalisiert die ideale Fehlerquote bei etwa 15 %, um den optimalen Lernfluss zu treffen3.

Desirable Difficulties im E-Learning strategisch einsetzen

Digitale Lernumgebungen bieten einzigartige Möglichkeiten, Desirable Difficulties wirkungsvoll zu implementieren. Drei Beispiele: 1) Spacing – durch adaptive Systeme werden Inhalte algorithmisch dann wiederholt, wenn sie fast wieder vergessen wurden. 2) Interleaving – Inhalte werden nicht blockweise, sondern in Mischung präsentiert, wodurch Ähnlichkeiten und Unterschiede bewusst verarbeitet werden müssen. 3) Testing-Effekt – durch regelmäßige, niedrigschwellige Tests (Low-Stakes Quizzes) wird der Abruf geübt und vertieft. Studien zeigen, dass diese Strategien nicht nur Langzeitlernen fördern, sondern auch metakognitive Kompetenzen stärken, da Lernende realistischere Einschätzungen ihrer Kenntnisse entwickeln4.

Die unterschätzte Kraft der Selbsteinschätzung im Lernen

Ein häufig übersehener Effekt wünschenswerter Lernhürden ist der metakognitive Gewinn. Die Illusion of Competence – also die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten – tritt gerade dann auf, wenn Lernmethoden einfach erscheinen. Lernende verwechseln Leichtigkeit mit Kompetenz. Schwierige, aber lösbare Aufgaben hingegen fördern realistischere Einschätzungen. Im E-Learning-Kontext kann das durch Visual Analytics, Prompting-Techniken oder Performance Dashboards unterstützt werden. Die Lernenden erhalten nicht nur Rückmeldung über ihre Leistungen, sondern auch eine reflektierte Einschätzung über ihr tatsächliches Können im Zeitverlauf5.

Was passiert, wenn Desirable Difficulties falsch eingesetzt werden?

Nicht jede Schwierigkeit hilft beim Lernen. Deshalb ist der Unterschied zwischen Desirable und Undesirable Difficulties entscheidend. Eine zu komplexe Formulierung, irrelevante Zusatzinformationen oder übermäßig hoher Zeitdruck erzeugen zwar Schwierigkeiten – fördern aber weder Behaltensleistung noch Transfer. Entscheidend ist der funktionale Zusammenhang zwischen Schwierigkeit und Lernziel. Im E-Learning bedeutet das: Aufgaben müssen herausfordernd sein, aber lösbar bleiben. Werden Nutzer wiederholt frustriert oder überfordert, sinkt Motivation und Lernen scheitert. Adaptive Elemente können hier helfen: Plattformen, die Schwierigkeitsgrade dynamisch anpassen, minimieren Überforderung und maximieren Lernwirksamkeit6.

Schlüsselstrategien, um desirable difficulties digital umzusetzen

  • Gestaffeltes Wiederholen: Algorithmisch berechnet, wann Inhalte erneut auftauchen sollen (z. B. via SuperMemo).
  • Kontrastives Falllernen: Interleaving durch gezieltes Mischen verschiedener inhaltlicher Konzepte.
  • Generative Aufgaben: Aufgaben, die zur aktiven Lösung zwingen (z. B. Lückentexte, Concept Maps).
  • Retrieval-Prompts: Fragen, die gezielt zum Abruf anregen – auch ohne Bewertung.
  • Feedback-Verzögerung: Um Illusion of Competence zu reduzieren, Feedback nicht unmittelbar, sondern mit Delay anbieten.
  • Explizite Metakognition: Nutzer beobachten ihre Lernverläufe und reflektieren Fortschritte durch Performance-Visualisierungen.

Desirable Difficulties als Designprinzip für künftiges Digital Learning

Die Belege sind klar: Wenn Desirable Difficulties gezielt eingesetzt werden, steigt die Langzeitleistung, der Transfer verbessert sich und Lernende entwickeln ein klareres Bild ihrer eigenen Fähigkeiten. Für Instruktionsdesign bedeutet das: Wir brauchen weniger glatte Benutzererfahrungen und mehr intentionale Reibung. Die Herausforderung liegt nicht im Mangel an Technologie, sondern in der bewussten didaktischen Entscheidung, adaptive Friktion zu fördern. Das E-Learning der Zukunft schafft kontrollierte Herausforderungen, die Lernprozesse vertiefen – nicht durch mehr Content, sondern durch besseres Timing, optimierte Schwierigkeit und kluge Rückmeldestrukturen.

Strategischer Ausblick: Wo das Forschungspotenzial noch liegt

Trotz überzeugender Evidenz bleiben zentrale Forschungsfragen offen. So etwa: Wie lassen sich desirable difficulties in vollständig asynchronen Lernumgebungen skalieren? Welche Rolle spielt Individualisierung – und wie können Schwierigkeitsgrade lernerspezifisch angepasst werden? Und welchen Einfluss haben verschiedene Feedback-Typen auf Storage Strength über längere Zeiträume? Gerade hier bietet das Zusammenspiel von Learning Analytics und adaptivem Design enormes Potenzial. Bildungstechnologie steht damit am Beginn einer neuen Phase: von der Inhaltsdistribution zur lernwirksamen Prozessgestaltung mittels gezielter Herausforderungen.

Desirable Difficulties sind kein Hype – sie sind evidenzbasiert und langfristig wirksam. E-Learning sollte sich nicht weiter an subjektiver „Fluency“ orientieren, sondern an realer Behaltensleistung. Und genau hier greift das Prinzip der Desirable Difficulties.

Unser Ansatz in Bezug auf Desirable Difficulties

Wir bei breed.design nutzen Bjorks Erkenntnisse für unsere digitalen Lerndesigns, indem wir neben den oben genannten Prinzipien, unsere Inhalte beispielsweise selten rein video-basiert konzipieren. In unsere E-Trainings versuchen wir immer Bewegtbild mit interaktiven Inhalten und Aufgaben zu kombinieren. Das machte es dem Lernenden »schwer«, das zu Lernende einfach wegzukonsumieren (wir beschreiben diese mit dem Begriff »Binge Learning« – also das reine Konsumieren großer Mengen ohne aktive Verarbeitung). Die Lernenden müssen sich die Inhalte proaktive erarbeiten. Dadurch verankert sich das neu gelernte Wissen nachhaltig.

Quellenverzeichnis

  1. Bjork, R.A. (1994). Memory and metamemory considerations in the training of human beings. Metacognition: Knowing about knowing, 185–205. Quelle ↩︎
  2. Bjork, R.A., & Bjork, E.L. (1992). A new theory of disuse and an old theory of stimulus fluctuation. In A.F. Healy, S.M. Kosslyn, & R.M. Shiffrin (Eds.), From learning processes to cognitive processes (pp. 35–67). Erlbaum. Quelle ↩︎
  3. Wilson, R.C. et al. (2019). The Eighty Five Percent Rule for optimal learning. Nature Communications, 10, 4646. Quelle ↩︎
  4. Roediger, H.L., & Karpicke, J.D. (2006). Test-enhanced learning: Taking memory tests improves long-term retention. Psychological Science, 17(3), 249–255. Quelle ↩︎
  5. Koriat, A., & Bjork, R.A. (2005). Illusions of competence in monitoring one’s knowledge during study. Journal of Experimental Psychology, 31(2), 187–194. Quelle ↩︎
  6. Sweller, J. (1988). Cognitive Load During Problem Solving: Effects on Learning. Cognitive Science, 12(2), 257–285. Quelle ↩︎
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